Tag 29. Condal – Villars-Les-Dombes

Ich habe die Nacht mit einem gigantischen carmina burana Froschchor verbracht, dem allerdings der Chorleiter fehlte. Außerdem kam in der Nacht ein Wind auf, der natürlich gedreht hatte und jetzt seitlich auf mein Zelt pustete, obwohl ich beim Aufbau mindestens eine halbe Stunde damit zugebracht habe, das Zelt immer wieder in veränderter Position aber sowas von haargenau dem Wind auszurichten, dass sich die Hühner und Hähne sicher gedacht haben, dass Menschen ja wohl die hirnlosesten Idioten auf Gottes schöner Erde sein müssen. Das haben sie am sehr frühen Morgen auch allen kundgetan, die es hören konnten.
Nach einer Stunde auf dem Weg, merke ich, dass ich meiner Umgebung nicht mehr so viel Beachtung schenke, wie am Anfang. Ich weiß nicht warum, aber es ist auch keine spannenden Gegend. Wiesen, Felder, Dörfer. Ich gerate in einen Trott, in dem ich nur in Zuständen lebe. Hungrig, müde, Fahrrad fahrend, auf Klo müssen. Ankommen, Zelt aufbauen, duschen, kochen, lesen, schlafen. Mein Denken erlahmt irgendwie. In den letzten Tagen fühle ich mich einsamer als sonst und es nimmt mich auch mehr mit. Gehört auch dazu und wird sich auch wieder ändern. In diesem Zustandsleben liegt auch ein Reiz, sich um Grundlegendes zu kümmern und sonst um nichts. Aber richtig zufrieden bin ich damit auch nicht. Aber die Prioritäten verschieben sich. Kleines wird groß und umgekehrt. Auch eine interessante Erfahrung.
Ich strampele vor mich hin und denke an nichts. Ich höre Hörbuch und bin zufrieden damit. Es ist heute grau, aber es war der erste Morgen, an dem ich nicht gefroren habe. Ich komme durch Bourg-en-Bresse. Ein durchaus netter Ort, aber ich rolle nur so durch. Ich sehe allerdings ständig Pizza Läden und Pizza Schilder. Nach einer Weile kann ich nur noch an Pizza denken. Ja, ich bin berechenbar – und auch beeinflußbar :-)
Pause mache ich an einem Teich, in dem sich Fische tummeln. Nicht zum ersten mal bedauere ich es, keine Angel zu haben. Aber wohin damit und vor allem wohin mit den 27 Fischen, die ich vermutlich illegalerweise aus dem Teich gezogen hätte. Dafür Kekse oder Schokolade weglassen? Nee. Ich sitze auf meiner blauen billig-Isomatte, in die ich mich richtiggehend verliebt habe. Ein fröhliches hellblau, ich kann meine Füße reindrücken und am nächsten Tag die Abdrücke immernoch sehen. Das beruhigt. Ein paar Krümel von meinem Vollkorn-Pausenbrot kleben von nun an unlösbar an der einen Ecke. Vielleicht brauche ich sie nochmal… Außerdem bin ich nie alleine auf der Isomatte. Kleine Käfer, Ameisen und anderes Getier ist genauso vernarrt in die Matte wie ich. Eine weitere wunderbare Eigenschaft ist die der Feuchtigkeitsspeicherung. Wenn die Sonne scheint und ich mich auf die Matte lege, habe ich nach kürzester Zeit einen angenehmen Feuchtigkeitsfilm am Rücken, der mich so nie austrocknen lässt. Und das alles für 4,99.
ich schmeiße ein kleines Stück Brot in den Teich und beobachte gespannt, wie gar nichts passiert. Das Brot schwimmt in trägen Kreiseln an der Oberfläche, was mich ob der Schwere, mit der es in meinen Magen plumpst, irgendwie wundert. Die Fische ignorieren es komplett, obwohl es französisches Vollkornbrot ist. Naja, aber eben kein Baguette. Plötzlich scheint doch einer zu begreifen, dass Fisch das fressen kann und im Nu sind sehr viele kleine Fische an dem Brot dran. Ich freue mich, muss aber unwillkürlich an eine Szene aus einem James Bond Film mit Piranhas denken. Oder war es “die Tiefe”? Es blubbert und platscht und ich sehe das Stück Brot in der Tiefe verschwinden, wo es sich zweifelsohne mit dem Käse und der Wurst zu einem Gelage-artigen Festmahl vereint.

Ich komme endlich an, es ist bewölkt und stickig heiß. Finde ich super, denn eigentlich sollte es regnen. Aufbauen, duschen usw. Jetzt kochen. Der französische Brennspiritus hat nicht so viel Wumms, wie der deutsche. Es dauert also alles etwas länger… Ich sitze und starre. Der Brennspiritus funzelt sich endlich zu ungeahnten Höhen auf und da, endlich, löst sich ein kleines Bläschen aus dem Wasser. Der Grundstein zum Abendessen ist gelegt. Ich sitze und starre weiterhin. Auf meine Schuhe. Da plötzlich, eine Zecke. Auf meinem Schuh. Zecken finde ich nun fast noch schlimmer als Spinnen. Wie um es mir nochmal vor Augen zu führen, krabbelt auf dem anderen Schuh, auf den ich jetzt hektisch blicke, eine schwarze Spinne mit weißen Punkten. Obacht, denke ich, mit den Zecken ist nicht zu spaßen und schnipse sie angewidert von meinem Schuh, möglichst weit weg. Heldenhaft hatte ich ja nun die Spinne ignoriert – aber jetzt ist sie verschwunden. Etwa in meinen Schuh? Schon unter der Hose? Bereit sich unter meine Haut zu fressen? Ja, solche Geschichten hat man schon gehört! Mittlerweile kocht das Wasser und ich lasse die Spinne ihre vermutlichen Pläne, die Weltherrschaft an sich zu reißen, weiter verfolgen. Ich entleere die Knorr Fertigfutter Tüte, meine sorgsam gesparte, vorletzte, in das Wasser, das sofort erschrocken in eine Starre verfällt. Desgleichen ich dann auch wieder. Unterbrochen nur von regelmäßigen Blicken auf meine Schuhe. Irgendwie tut sich nichts mehr bei den Nudeln. Ein Verdacht beschleicht mich, und richtig, der Spiritus ist ausgebrannt. Das ging ja schnell. Ich fülle nach und entzünde den Brenner. Das Gras unter dem Kocher beginnt allerdings auch zu brennen, was jetzt so von mir eigentlich nicht gedacht war. Das Funzeln und Glühen wird eher schnell als langsam zu einem kleinen Feuer. Hektisch nehme ich den Kocher weg und registriere nur am Rand, dass natürlich der Löffel in den Nudeln versinkt. Ich nehme eine Wasserflasche und lösche den kleinen Brand. Als ob ich noch nie mit einem Spirituskocher gekocht hätte. Peinlich. Ich fische den Löffel wieder raus und übersehe wohl, dass Soße an meinen Händen klebt, denn wie von Zauberhand habe ich nun Soße an der Brille. Und an meinem Ärmel. Und auf der Hose. Was hab ich denn in zwei Sekunden alles mit meiner Soßenhand angefaßt?! Ich lecke die Finger ab und mir fällt zu spät ein, dass ich mir auch noch Spiritus über die Finger gegossen hatte. Bei der Gelegenheit merke ich aber, dass französischer Spiritus weniger bitter ist, als deutscher. Endlich kann ich aber essen. Die Nudeln sind etwas zu al dente, aber so ist das eben, wenn man nicht die Gelassenheit eines französischen Brennspiritus hat. Gute Nacht!

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5 Gedanken zu „Tag 29. Condal – Villars-Les-Dombes

  1. hallo menina, du wahnsinnige!
    nachdem ich fleißig mitlese und dabei häufiger mal leicht debil vor mich hin kichere, will ich doch endlich mal meinen senf dazu geben :-) hast du tatsächlich in einem monat schon ca. die hälfte der strecke geschafft??? einfach unglaublich! und kein muskelkater? kein schmerzendes hinterteil? keine sonstigen blessuren? ich wünsche dir jedenfalls sehr, dass du morgens (und vermutlich manches mal auch nachts) nicht mehr frieren musst – wie kalt es beim zelten sein kann, weiss ich nur zu gut :-( und, wer weiss, vielleicht wirst du ja auf der restlichen strecke nur noch von katzen, hühnern und schokoriegeln begleitet – statt von spinnen und schnecken.
    lg inge

  2. Wie haben wir das eigentlich überstanden die vielen Jahre Berlin-Hamburg, wenn du mir jetzt schon so fehlst? hab ich mich gefragt. Haben heute gegrillt und ich denke viel an dich. Hätten dich beide gern dabei gehabt. Sicherlich vermisst du Julia auch sehr. ..
    Hasi halt dich tapfer!
    Erinnerst du dich an den Zwischenfall auf der Wandertour Norwegen, wo ein brennender Topf den Hang runter rollte? Jaja,.. Wenn man Spiritus in Wasserflaschen umfüllt. Aber ist ja nicht uns passiert!
    Wir tragen hier auch echt Kämpfe mit Zecken aus…. Scheint ein gutes Jahr zu sein. Dann schon lieber Spinnen!
    Denk immer dran hier aus Hamburg folgen dir sehr viele “stumme” Leser und viele Herzen schlagen hier für dich!

  3. Da hat Alida so vollkommen Recht! Mit dem Vermissen und auch damit, dass hier (dazu gehört z.B. Hamburg, Flensburg, Köln, Spanien, Afrika) viele Herzen für dich schlagen und dich auf deiner Reise begleiten. Es ist toll, dass du so viel mit uns allen teilst und deine Reise so durchziehst. Allerdings bin ich auch sehr froh, wenn du wohlbehalten wieder Zuhause bist :-) Ich habe mich auch schon gefragt, wie wir die Zeit überstanden haben, als ich noch in England war… Aber irgendwie ging’s und dieses Mal werden wir es auch hingekommen! Ich bin sehr stolz auf dich mein Schatz :-)

  4. Hallo liebe Menina,
    Auch, wenn wir nicht allzu viel schreiben, verfolgen wir jedeen Tag, Deine Berichte und bewundern Dich wahnsinnig. Nach dieser “Reise” wirst du wahrscheinlich vieles mit anderen Augen betrachten. Wie Du sagst, die Prioritaeten aendern sich…..
    Nun, ich werde von hier berichten. Am Freitag, den 25. hatte Gianni die ganze Familie zusammengetrommelt. Treffpunkt: Presse Verein im “salon de Actos” (ich weiss im Augendblick nicht, wie es auf deutsch heisst, peinlich, peinlich) Uevberrraschung!!!!!! Ja,stell dir vor, er hastte ein Buch geschrieben und das wurde nun Freunden un der Presswe vorgestellt. Ich hatte allerdings schon so etwas geahnt.Das Buch ist keine Biografie, sondern Anektdoten aus seinem Presseleben. WEnn Du erst hier bist, bekommst Du najtuerlich eins. mal sehen, ob Du es verstehen kannst. Jam, wie Du siehts, haben wir jetzt auch einen Schriftsteller in der Familie, obwohl Du Dich auch dazu eignest, nachdem was ich von Dir lese…….
    Heute, Sonntag, das Wetter ist sehr gut, kommt wieder die ganze Familie zum gemeinsamen Essen zusammen (in dem Club wo David das REstaurant-Bar hat), um Martas GEburtstag zu feiern, der zwar am vorigen Sonntag war, aber da waren wir ja alle verreist.
    Ja, das waers. Nun fehlen nur noch 1 und 1/2 Monate und Du bist hier!!!!
    Weiterhin Kopf hoch und viele Gruesse aus Spanien, Heike

    1. Wow das ist ja toll! Ich bin sehr gespannt und möchte unbedingt eins der Bücher haben. Oder wir nehmen eins für uns drei und tauschen es gegenseitig. Ich bin sehr gespannt!

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